Wenn ich an Gothic 3 denke, dann kommt mir ein ganz bestimmtes Wort in den Sinn: ambitioniert! Leider sollte der dritte Teil der Rollenspielserie von Piranha Bytes weit hinter den eigenen sowie auch den Erwartungen der Fans zurückbleiben. Folgt mir in diesem Teil meines Specials in die Hintergründe des letzten Gothic-Titels, der noch von den ursprünglichen Erfindern der Serie entwickelt wurde.
Die Story, einst die große Stärke der ersten beiden Teile, wurde zugunsten von Open World-Elementen extrem vereinfacht. Der Krieg gegen die Orks war eine treibende Motivation vieler Akteure in Gothic 1 und 2 und nicht zuletzt auch der Grund, warum der Held damals überhaupt in der Kolonie landete. Dieser Krieg ist nun verloren. Der Held und seine Freunde kommen in einem besetzten Land an.
Doch die Handlung bezieht daraus keine wirkliche Stärke. Ob man sich nun den Rebellen anschließt oder für die Orks als Söldner arbeitet, ergibt im Prinzip dasselbe. Der einzige Hauptquest für eine lange Zeit heißt: „Finde Xardas.“ Und das ist gar nicht so einfach. Denn der hat sich im hintersten Winkel von Nordmar versteckt. Außerdem bleibt das Journal recht spartanisch. In den älteren Teilen der Reihe war das Journal des Helden persönlich – neben den wichtigsten Informationen kamen mitunter auch seine Gedanken und Ansichten zum Vorschein. So konnte sich der Spieler mit dem Helden identifizieren. In Gothic 3 werden nur die relevanten Dialoge wiedergegeben.
Haben wir Xardas endlich gefunden, gibt er uns den Auftrag, die fünf MacGuffins – ich meine natürlich die fünf göttlichen Artefakte Adanos‘, zu suchen. Dann müssen wir uns entscheiden. Entweder arbeiten wir für den Gott Innos, den Gott Beliar oder unterstützen Xardas bei seinem Vorhaben, Gleichgewicht und Frieden in die Welt zu bringen. Was man auch tut, die fünf MacGuffins, die eigentlich ziemlich gute Ausrüstungsgegenstände sind, werden dabei zerstört. Ja, es ist im Prinzip wie in Mass Effect 3 – drei Möglichkeiten und irgendwie läuft doch alles auf das Gleiche heraus. Scheint eine Krankheit von dritten Teilen zu sein.
Es krankt dabei hauptsächlich an zwei Dingen. Zum einen fehlt es an einem vernünftigen Antagonisten. In Gothic 1 mussten wir uns mit dem Schläfer, einem uralten Dämon, messen. In Gothic 2 waren es die Drachen und in der Nacht des Raben der Erzbaron Raven. Stets schien es, als ob sich der namenlose Held in einem Wettlauf mit den Schergen des Bösen befand. Das trieb die Handlung voran. Dieser rote Faden fehlt. Das zweite Manko ist eine Designentscheidung: Jeder NPC im Spiel kann vom Helden getötet werden. Daher muss jeder Charakter ersetzlich sein. Hauen wir zum Beispiel Xardas um, muss sein Quest auf eine Notiz passen, die wir bei ihm finden und somit entsprechend schlicht gestrickt sein. Der Fokus auf Open World bricht der Story das Genick. Dass es anders gehen konnte, hatte im selben Jahr TES IV: Oblivion unter Beweis gestellt.
Diese Entscheidung führte zu einem Verlust an Tiefe sowohl bezüglich der Charakteren als auch der Spielwelt, die an vielen Stellen gähnend leer wirkt. Mittels eines Rufsystems können wir in den Städten Myrtanas und Varants Rebellionen anzetteln. Doch das führt dazu, dass Städte im Verlauf des Spiels fast nur noch von namenlosen 0815-NPCs bevölkert werden. Dabei kann man auf lokaler Ebene ein im Ansatz durchaus gutes Rollenspiel erkennen. In der Stadt Silden freunden wir uns mit den örtlichen Orks an. Einer der Grünhäute ist neidisch auf den Feldherren, will jedoch nichts riskieren, solange der Schamane Grompel ihn unterstützt. Wir bieten also dem Chef an, das nahe Rebellennest auszuheben. Gleichzeitig bieten wir Sklavenaufseher Zapotek an, den Schamanen für ihn zu erledigen, denn der führt uns zu besagtem Lager. Haben wir Grompel aus der Stadt gelockt, können wir ihn aus dem Weg räumen. Keiner von den dreien ahnt, dass es unsere wirkliche Absicht ist, mit der Beseitigung des Schamanen den Weg für eine Rebellion zu ebnen. Doch gerade das führt zu keinem wirklichen Erfolgserlebnis. Wir bolzen dutzende Orks um und doch wird die Stadt durch die Befreiung weitaus weniger interessant. Es gibt schlichtweg nichts mehr zu tun, denn alle Questgeber sind tot.
Im Bereich Gameplay sollte eine verbesserte Steuerung gefunden werden. Das gelang auch teilweise. In Gothic 3 dürfen wir mit Maus und Tastatur kämpfen statt mit der hakeligen Tastatursteuerung der Vorgänger. Das läuft zwar deutlich flüssiger, ist aber taktisch weniger tiefgängig als die alte Steuerung. Denn früher oder später setzt sich eine Strategie durch: Totklicken. Wer den Fernkampf mit Bogen oder Armbrust oder die Magie wählt, hat es da ein wenig schwieriger. Auch die Grafik wurde durch eine neue Engine extrem verbessert – so gab es weniger Kanten und verbesserte Animationen.
Letztere konnte man allerdings selten so richtig genießen. Denn Gothic 3 war ursprünglich so voller Bugs, dass es praktisch unspielbar war. Zur Illustration: Als Vorbereitung für diesen Artikel wollte ich Gothic 3 im Originalzustand auf meinem Windows 10 Rechner installieren. Weit kam ich dabei nicht. Denn nach der Introsequenz stand mein Charakter da und reagierte auf keinerlei Eingabe durch Tastatur und Maus.
Gothic 3 war zum Release in einem katastrophalen Zustand. Quests funktionierten nicht. Ein Fehler in der Speicherzuweisung führte selbst auf High-End Rechnern zu unsäglich langen Ladezeiten und an jeder Ecke gab es Animationsfehler. Spätestens nach zwei Spielstunden kam es irgendwann zu unerklärlichen Abstürzen. Dabei waren die Fehler durchaus bekannt: Nur wenige Wochen vor der Veröffentlichung wurde die Goldmaster zurückgerufen – die Version, die vom Developer an das Presswerk geht, sprich die Verkaufsversion. Trotz dieser offenkundigen Probleme beharrte Publisher Jowood auf dem Release-Termin.
Es folgten mehrere Patches, die aber bei Weitem nicht alle Bugs beheben konnten und in der Folgezeit knirschte es ganz gewaltig zwischen Publisher und Developer. Gegenseitig wies man sich die Schuld zu. Jowood wetterte, dass Piranha Bytes seine vertraglichen Pflichten, was die Qualität anging, innerhalb der ausgemachten Fristen nicht eingehalten hätte. Die Piranhas schossen zurück, dass Jowood nicht mit sich um eine Verschiebung des Termins verhandeln ließ und das Spiel so in unfertigem Zustand veröffentlicht werden musste. Folgerichtig trennten sich die beiden ein halbes Jahr später. Die letzten Patches und ein geplantes Add-On waren nun völlig in der Schwebe.
Die Markenrechte an Gothic verblieben vorerst bei Jowood. Doch nun musste ein neuer Developer gefunden werden. Und was war mit dem immer noch „unfertigen“ Gothic 3? Die Community eilte zur Rettung. Mit der Herausgabe des Quellcodes durch Jowood konnte ein Team aus Fans versuchen, das lange ersehnte Spiel doch noch zu retten. Diese Hingabe sollte sich auszahlen. Mit Version 1.74 des Community Patches läuft Gothic 3 mittlerweile fast fehlerfrei und konnte noch um einige Dinge erweitert werden. So bietet die aktuelle Version des Community Patches neben inhaltlichen und grafischen Aufwertungen auch ein alternatives Balancing und eine neue Gegner-KI an. Doch selbst mit dem neuesten Patch und einem gut ausgestatteten PC kann es immer wieder zu Grafikrucklern und Soundaussetzern kommen.
Wenn es eine Sache gibt, die bei Gothic 3 von vornherein funktioniert hat, dann ist es die Musik. Hört selbst rein:
Vielleicht ist der Soundtrack das Beste, was von Gothic 3 geblieben ist. Komponist Kai Rosenkranz war diesmal nicht nur auf synthetische Musik beschränkt, sondern durfte sich mit einer ganzen Reihe von Künstlern voll austoben. Mit den Bochumer Symphonikern kam erstmals in der Serie ein volles Orchester zum Einsatz. Hinzu kamen die japanische Taikoband GOCOO und die Sängerin Lisbeth Scott, die ihre Hollywood-Erfahrungen mit einbringen konnte (Scott sorgte u.a. in Filmen wie The Sixth Sense, Sleepy Hollow und Bruce Allmächtig mit ihrer Stimme für musikalische Untermalung). Mittlerweile hat sich KaiRo aus dem Computerspielegeschäft zurückgezogen und konzentriert sich ganz auf die Fertigstellung seines Albums Journey Home.
Gothic 3 ist im Grunde genommen kein schlechtes Rollenspiel. Aber es ist lange nicht so gut wie seine Vorgänger. Selbst wenn man die nunmehr behobenen Bugs außer Acht lässt, sind einige der Grundkonzepte im Spiel schlichtweg nicht aufgegangen. Es war einfach zu ambitioniert. Eine wirkliche Empfehlung ist eigentlich nur der Soundtrack. Wer ein gutes Open-World-RPG aus dem Jahr 2006 sucht, ist mit Elder Scrolls: Oblivion besser beraten.
Durch die Trennung von Jowood und Piranha Bytes ging eine Ära in der deutschen Rollenspielgeschichte zu Ende. Aus der Sicht der Erfinder, die sich nun mit Risen einem völlig neuen Projekt zuwandten, ist mit Gothic 3 der Kanon des Gothic-Universums abgeschlossen. Doch Jowood hatte noch weitere Pläne für die Marke. Schnell wurde mit Spellbound ein neuer Entwickler für den nächsten Teil verpflichtet. Doch zunächst sollte noch ein Add-On für Gothic 3 folgen, das scheinbar nur eines beweisen sollte: Natürlich kann man ein Spiel mit noch mehr Bugs auf den Markt schmeißen! Folgt mir, wenn ihr den Mut dazu habt, in den nächsten Teil meines Specials. Die Götterdämmerung naht!