Mit Arcania: Gothic 4 sollte ein neues Zeitalter für die Gothic-Reihe anbrechen. Publisher Jowood wollte die Serie in neue Höhen und Absatzmärkte treiben und verzockte sich dabei dermaßen, dass am Ende nicht nur Jowood selbst, sondern auch der Entwickler Spellbound in den finanziellen Ruin getrieben wurde.
Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich mal wieder als Piranha Bytes-Fanboy oute, will ich doch kurz meine erste Reaktion mit euch teilen, als ich Arcania damals zum ersten Mal in die Hand nahm. Es dauerte genau bis zum zweiten Satz im Intro, als mein Kopf auf dem Schreibtisch aufschlug: „Seine Krone war an einen Streiter Innos‘ übergegangen, der sich Rhobar III. nannte…“ Kurz zum Hintergrund: König Rhobar II. hatte in Gothic den namenlosen Helden in die Gefängniskolonie verbannt. In Gothic 3 nahmen der Held und sein Freund Lee Rache am König. Nun ist der einstige Protagonist der ersten drei Teile selbst König von Myrtana und hat sich dafür den denkbar schlechtesten Namen ausgesucht. Benannte sich etwa Alexander der Große in Darius IV. um, nachdem er Persien erobert hatte? Benannte sich Wilhelm der Eroberer in Harald III. um, nachdem er England erobert hatte? Nein! Wer einen König absetzt, um dessen Thron zu übernehmen, will normalerweise nicht ständig an seinen Vorgänger erinnert werden.
Nun gut, wie auch immer nun der Name des namenlosen Helden lautet, immerhin schafft es Arcania, die wichtigsten Charaktere der Reihe inklusive ihrer alten Sprecher wieder in Szene zu setzen. Leider bleibt es dabei, dass sie als gelegentliche Questgeber fungieren. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem neuen Helden, einem namenlosen Hirten von der Insel Feshyr. Zwar wird mit Charakteren wie dem Kämpfer Rauter, der Waldläuferin Jylvie und der Spionin Zyra der Versuch unternommen, auch einen Freundeskreis um den neuen Protagonisten aufzubauen, doch der scheitert kläglich. Gelegentlich findet man diese wiederkehrenden Charaktere zufällig in der Spielwelt vor und erhält einen Quest von ihnen. Dabei stehen sie einem aber nie im Kampf zur Seite, obwohl sie eventuell direkt vor der Höhle stehen, die wir für sie ausheben sollen. Der Grund, warum Charaktere wie Gorn, Milten und Diego in Gothic so einprägsam waren und man sie stets wieder gerne sah, waren die gemeinsamen Erfahrungen wie die Jagd nach den Fokussteinen, die Held und Gefährten zusammenschweißten. In Arcania hingegen bleiben diese Charaktere farb- und leblos.
Ein großes Manko ist auch die Linearität des Spiels. Obwohl die älteren Gothic-Teile in Kapitel unterteilt waren, gab es stets viel zu erkunden. In Arcania kommen wir in eine neue Gegend, laufen mechanisch alle verfügbaren Quests durch und verlassen die Gegend auf der anderen Seite der Karte, ohne dass wir je wieder einen Grund hätten zurückzukehren. Zwar dürfen wir im Spielverlauf gewisse Entscheidungen treffen, doch die bleiben vollkommen belanglos. Früher wirkte sich die Entscheidung für ein Lager wenigstens auf die Charakterentwicklung aus. Doch ob wir in Stewark dem derzeitigen Baron, der sich den myrtanischen Truppen ergeben will, oder seinem Bruder, der den offenen Kampf vorzieht, helfen, bleibt letztendlich egal. Beide geben uns am Ende den Passierschein zum Silbersee. Grundsätzlich hätte man in früheren Teilen auch einfach die einsame Wache am Tor umhauen und so weiterkommen können. Doch in Arcania wird dem Spieler diese Entscheidungsfreiheit nicht eingeräumt.
Noch schlimmer wird die Geschichte in Toshoo. Dort müssen wir für einen von zwei verfeindeten Magiern mithilfe eines antiken Tempels das Wetter der Region ändern, damit wir zu Milten vorgelassen werden. Dabei hilft uns Zyra. Und mit Hilfe ist gemeint, dass sie nichtsnutzig vor dem Tempel steht, aus dem wir ein magisches McGuffin bergen müssen. Egal für welche Option wir uns entscheiden, wird Zyra grundsätzlich Partei für die andere Seite ergreifen und fordert uns zum Kampf heraus. Sobald wir Toshoo hinter uns gelassen haben, wird selbst der Anschein von relevanten Entscheidungen aufgegeben und das Geschehen degeneriert zu einem Rollenspiel on Rails.