Die komplette Silent Hill-Retrospektive: Teil 1

Die komplette Silent Hill-Retrospektive: Teil 1

Teil 1: Die ersten drei Teile, oder: als wir uns in Silent Hill verliebten

Ein dunkles, scheinbar verlassenes Apartmenthaus voller verschlossener Türen. Die verrostete Treppe wirft im fahlen Licht der Taschenlampe, der einzigen Lichtquelle weit und breit, bizarre Schattenfiguren an die vergilbten Wände. Die vermoderte Tapete ist mit rotbraunen Flecken übersäht, welche an Körperflüssigkeiten erinnern. Dass hier schon lange niemand mehr gewesen ist scheint ebenso real wie die erdrückende Stille und der Geruch nach Verwesung. Doch letzterer scheint nicht einem menschlichen Wesen zu entweichen, vielmehr bestätigt sich ein grotesker Verdacht, als würde das Gebäude selbst von innen heraus bluten, als habe der Tod Besitz von ihm selbst ergriffen, als könne man ihm bei seiner Zersetzung förmlich zusehen.

Eine der vielen Türen lässt sich schließlich öffnen, und das anfängliche Gefühl völliger Isoliertheit weicht, als zwei grotesk verstümmelte, morbide Wesen aus der Dunkelheit hervorkriechen. Schutz bietet auf die Schnelle nur ein Schrank, durch dessen Jalousien wir das verstörende Schauspiel beobachten. Das größere der beiden Monster bewegt sich mit rasselnden Schritten auf den Schrank zu. Von einem inneren Grauen ergriffen erkennen wir die Gestalt: Über einem muskulösen, menschlichen Oberkörper prangt ein pyramidenförmiger Helm aus rostigem Metall, ebenso verkommen wie die befleckte Schürze, die den Rest des Wesens bedeckt.

Wer bis hierhin durchgehalten hat, ist entweder angewidert oder schwelgt in seliger Erinnerung an einen ganz besonderen Videospiel-Moment. Abseits von einem andächtig schönen Hyrule oder den aufregenden Grabstätten einer Lara Croft konnte Spielspaß ab 1999 auch ganz anders aussehen. Während Capcoms Resident Evil die Spieler wenige Jahre zuvor durch Schockeffekte das Fürchten gelehrt hatte, erschuf Konami mit Silent Hill ein subtileres, von Beklemmung, Angst und Ekel dominiertes Spielgefühl. Auslöser dafür sind selten Schockmomente, sondern vielmehr die Atmosphäre und das, was im Kopf des Spielers stattfindet. In unserer großen Retrospektive erfahrt ihr alles, was ihr über die beliebte Horror-Reihe wissen müsst. Seid ihr bereit für die nicht endende Dunkelheit?

The fear of blood tends to create the fear of flesh

Mit diesen schaurigen Worten begann der 1999 für PC und PlayStation erschienene erste Teil der Serie, welcher vom eigens gegründeten japanischen Team Silent für Publisher Konami entwickelt wurde. Der Spieler erkundete die neblige Geisterstadt Silent Hill aus der Sicht des Schriftstellers Harry Mason. Dieser war auf der Suche nach seiner siebenjähriger Tochter Cheryl, bevor er schließlich dem Geheimnis eines religiösen Kults auf die Spur kam. Es dauerte nur wenige Sekunden bis der Spieler begriff, wie isoliert er von der Außenwelt ist. Der dichte Nebel in den verlassenen Straßen sorgte zusammen mit den vereinzelten Schneeflocken für eine Sichtweite von wenigen Metern, weit und breit waren weder Menschen zu sehen noch ein leises Vogelzwitschern oder ein anderes Lebenszeichen zu hören. Als Harry einen Schatten erspähte und diesem folgte, verdunkelte sich die Umgebung zunehmend und er stieß auf eine blutgetränkte Gasse, in der ihn schließlich zwei Monster angriffen.

Harry Mason sucht in Silent Hill nach seiner Tochter (1999)

Harry Mason sucht in Silent Hill nach seiner Tochter (1999)

Alleine die Eingangsszene von Silent Hill war harter Tobak und zeigte bereits, wohin die Reise gehen sollte. Dank der besonderen Kamera, die das Geschehen aus der Vogelperspektive einfing oder euch bedrohlich im Nacken saß sowie der großartigen Musik und Soundeffekte von Akira Yamaoka erreichte die Gruselstimmung schon nach wenigen Minuten ihren ersten Höhepunkt.

Silent Hill ist ein Action-Adventure, in dem ihr mithilfe von Landkarten die verlassene Stadt erkundet, Notizen lest, Gegenstände einsammelt, Rätsel löst und Monster bekämpft. Solltet ihr vereinzelt auf andere Charaktere treffen, sorgen spannend inszenierte Cutscenes für eine kurze Erholphase, danach seid ihr jedoch wieder mutterseelenallein. Munition kann knapp werden und als wäre alles noch nicht schlimm genug, ist der Held des Spiels ein ganz normaler Mann ohne besondere Superkräfte oder Erfahrung mit Waffen.

Typisch für Silent Hill sind die innerhalb der Reihe wiederkehrenden Schauplätze. Neben einer verlassenen Schule und einem heruntergekommenen Vergnügungspark im ersten Teil zählt vor allem der Besuch eines der drei Krankenhäuser der Kleinstadt immer wieder zu den Spielhöhepunkten. Zudem existiert fast jeder Schauplatz in mindestens zwei, je nach Fan-Definition drei Dimensionen. Wenn ihr euch zu Beginn des Spiels in der Grundschule aufhaltet, verwandelt sich der verlassene Ort plötzlich innerhalb weniger Sekunden in eine bedrohliche Hölle. Aus Betonwänden werden rostige Gitter, die Wände schwitzen Blut und statt vergammelter Möblierung finden sich Leichenteile in dunklen Ecken. Diese Alternativwelt, auch Andere Seite, Dritte Dimension oder Otherworld genannt, setzt dem Gruselspaß die Krone auf, ist aber auch für den Spielverlauf notwendig, da sich nun Türen öffnen ließen, die zuvor in der zweiten Dimension (auch Nebelwelt genannt) verschlossen waren und ihr so allmählich zu einem Endgegner, der am Ende eines jeden Schauplatzes auf euch wartete, kamt.

Bereits das Intro von Silent Hill sorgte 1999 für Gänsehaut pur

Bereits das Intro von Silent Hill sorgte 1999 für Gänsehaut pur

Abgesehen von einem Radio, dessen statisches Rauschen auf sich nähernde Monster hinwies, hattet ihr verschiedene Waffen im Gepäck. Während ihr anfangs nur ein Messer zur Hand hattet, gab es im weiteren Spielverlauf Schuss- und Schlagwaffen wie Äxte oder Stahlrohre. Die chronische Munitionsknappheit war dabei typisch für einen Survival-Horrortitel und verstärkte naturgemäß die bedrohliche Atmosphäre. Zum erneuten Durchspielen von Silent Hill verlockten besondere Waffen wie eine Kettensäge oder der Hyper Blaster mit Endlos-Munition, aber auch vier verschiedene Spielenden, die sich aus eurem Verhalten im Lauf des Spiels ergaben. Drei verschiedene Schwierigkeitsgrade sorgten dafür, dass selbst ungeübte Spieler alle Rätsel lösen und Monster besiegen konnten. Rätsel- und Kampfdichte hielten sich dabei die Waage, wobei die anspruchsvollen Rätsel sich meist um Schlüsselsuche oder Zahlenkombinationen drehten.

Trotz fehlender Jugendfreigabe wurde die europäische Version leicht abgeändert. Wer das Spiel nachholen möchte, darf trotzdem zur PAL-Fassung greifen, da hier lediglich die in der US-Version vorhandenen kleinen Monster des Schauplatzes Grundschule optisch verharmlost wurden.

 

Willkommen in der Hölle – die glorreichen Fortsetzungen

Obwohl sich Silent Hill mit 1,5 Millionen verkauften Exemplaren bereits großer Beliebtheit erfreute, konnte Konami mit der 2001 für PC, PlayStation 2 und Xbox erschienenen Fortsetzung das Spielerlebnis noch einmal toppen. Was Ocarina Of Time für die Zelda-Reihe, ist Silent Hill 2 für das Horror-Franchise: Der von Fans und Kritikern gefeierte sowie bis heute unübertroffene Höhepunkt der Serie.

James Sunderland verbirgt in Silent Hill 2 (2001) ein düsteres Geheimnis

James Sunderland verbirgt in Silent Hill 2 (2001) ein düsteres Geheimnis

Da ihr in jedem Teil der Reihe in die Haut einer neuen Figur schlüpft, war Harry Masons Geschichte (zunächst) zu Ende erzählt und ihr begleitetet nun James Sunderland durch die nebligen Straßen der Kleinstadt. Der unscheinbare Büroangestellte erhielt einen Brief seiner verstorbenen Frau Mary, mit der er einst seinen Urlaub in Silent Hill verbracht hatte – zu einer Zeit, als die Stadt noch eine Touristenattraktion gewesen war. Um diesem Mysterium auf den Grund zu gehen, begab sich James in den zur Geisterstadt verkommenen Ort. Die Charaktere, die er dort auf seiner Suche traf, waren ebenso einsam und gebrochen wie der Protagonist selbst, während die Stadt in all ihrer Verwesung und ihrem Verfall den seelischen Zustand der Figuren widerzuspiegeln schien. Das Spiel erschütterte den Spieler in seinem tiefsten Inneren, verstörte noch mehr als der Vorgänger und darf getrost als atmosphärisches Meisterwerk bezeichnet werden. Dies lag nicht nur an der verbesserten Optik, die dank verschlissener Texturen und innovativem Grieselfilter, der eine Bildstörung simulierte, in neuem Glanz erstrahlte. Die komplexe Story um die geheimnisvolle Maria, die James’ verstorbener Frau Mary auffallend ähnlich sah, versprach Spannung bis zum bitteren Ende und bot Stoff für zahlreiche Diskussionen unter Fans. In Silent Hill 2  feierte auch der Pyramid Head Premiere, der James mehrmals als Endgegner gegenüberstand und zur wohl populärsten Figur der Reihe avancierte. Auch der Sound, für den sich erneut Akira Yamaoka verantwortlich zeichnete, setzte in Sachen Gruselatmosphäre neue Maßstäbe. Durchgängige Hintergrundmelodien suchte man in Silent Hill 2 vergebens, stattdessen jagten euch spärlich eingesetzte Geräusche wie ein metallenes Scheppern oder das weit entfernte Knarren einer Tür immer wieder Schauer über den Rücken.

Der legendäre Gegner im Silent-Hill-Franchise: Der Pyramid Head

Der legendäre Gegner im Silent-Hill-Franchise: Der Pyramid Head

Wie beim Vorgänger trösteten freispielbare Waffen und fünf verschiedene Enden über die kurze Spieldauer von etwa neun Stunden hinweg. Silent Hill 2 erhielt wie der Vorgänger keine Jugendfreigabe und erschien in verschiedenen Versionen. So hatten Xbox-Spieler die Möglichkeit, mit Silent Hill 2: Inner Fears (in den USA unter dem Namen Silent Hill 2: Restless Dreams erschienen) in der etwa einstündigen Zusatzepisode „Aus dem Wunsch geboren“ Maria zu steuern. PS2-Besitzer durften etwas später zum Silent Hill 2: Director’s Cut greifen, welcher mit Inner Fears identisch war.

Nach Silent Hill 2, das heute zu den ewigen Meilensteinen in der Videospielgeschichte zählt, waren die Erwartungen an eine weitere Fortsetzung entsprechend hoch. Konami entschied sich dafür, die erfolgversprechende Spielmechanik beizubehalten und brachte 2003 – diesmal nur für PC und PlayStation 2 – Silent Hill 3 auf den Markt. Fans der Reihe freuten sich über einen vorerst versteckten Bezug zum ersten Teil, da ihr in die Rolle der siebzehnjährigen Heather Mason (der Nachname dürfte nun bekannt sein!) schlüpfen und das Geheimnis um deren Vergangenheit aufdecken musstet. Erstmals aus der Sicht einer weiblichen Protagonistin, die von Sophie Marceau und Charlotte Gainsbourg inspiriert war, erkundete man diesmal unter anderem ein Einkaufszentrum, eine U-Bahn-Station sowie den Vergnügungspark und das berüchtigte Krankenhaus.

Mit Heather spielten wir in Silent Hill 3 (2003) erstmals in der Reihe eine weibliche Hauptfigur

Mit Heather spielten wir in Silent Hill 3 (2003) erstmals in der Reihe eine weibliche Hauptfigur

Silent Hill 3 konnte erneut mit spannenden Cutscenes, großartiger Soundkulisse und neuer Grafik-Engine, deren Optik andere zeitgemäße PS2-Spiele in den Schatten stellte, punkten. Die Alternativwelt, in die Heather mehrmals eintauchte, erreichte mit Silent Hill 3 dank noch widerlicherer und blutigerer Optik ihren grauenhaften Höhepunkt. Im Krankenhaus etwa schienen die Wände der veränderten Welt aus pulsierendem, organischem Material zu bestehen, das von Blutgefäßen überzogen war. Zudem mischten sich vermehrt Schockmomente und Fallen ins Spielgeschehen, so dass eine direktere und intensivere Angst erzeugt wurde als im Vorgänger. An der Spielmechanik änderte sich derweil nur wenig, lediglich Ausweichmanöver zur Seite waren jetzt möglich. Das Spiel war, wie die beiden Vorgänger, von guten englischen Sprechern vertont und deutsch untertitelt.

Einer der gruseligsten Momente in Silent Hill 3: Der Spiegel im Krankenhaus

Einer der gruseligsten Momente in Silent Hill 3: Der Spiegel im Krankenhaus

Silent Hill 3 heimste erneut hohe Wertungen ein, konnte aber aufgrund der Story, die zwar spannend war, jedoch nicht ganz so clever strukturiert wie in Silent Hill 2, bei den Fans nicht dessen Beliebtheit erreichen. Es gibt jedoch Anhänger, die Silent Hill 3 als gruseliger empfinden als den Vorgänger. Fest steht in jedem Fall, dass Silent Hill 2 auf subtilere, Silent Hill 3 auf direktere Art Angst auslöste. Umso erstaunlicher, dass Silent Hill 3 als einziges Spiel der Hauptreihe eine Jugendfreigabe ab 16 erhielt. Neben drei verschiedenen Enden und besonderen Waffen wie einem Flammenwerfer konnte man diesmal auch neue Outfits für Heldin Heather freispielen.

Im nächsten Teil unseres großen Silent-Hill-Specials erfahrt ihr weshalb das einst so erfolgreiche Franchise langsam aber sicher in der Dunkelheit verschwand. Außerdem erfahrt ihr alles über die weiteren Fortsetzungen und Spin-Offs der Reihe für andere Plattformen.

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 2

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 3

Die komplette Silent Hill-Retrospektive – Teil 4

Begann ihre Zockerkarriere mit einem Sega Game Gear. Hält Silent Hill für das ideale Reiseziel und die Ocarina für das schönste Instrument.