Während es in Far Cry 3 und 4 nur den Alltag des Krieges gab, die x-beliebigen, schon kriminell geborenen Verbrechergruppen außer Bewachen, Schießen und Blöde-Sprüche-Murmeln nichts zu tun hatten, könnte Far Cry 5 die besondere Stärke seines Szenarios nutzen, indem es den Lebenswandel des Dörfchens unter dem Einfluss der Sekte zeigt: Wie der Alltag generell beschaffen war, wie er von der Sekte mit Gewalt gestört wird und wie er letztendlich durch ihre Lehren geistig verändert wird.
In Anlehnung an ihre radikalen Vorbilder könnte die „The World of Joseph“-Sekte im Spiel engmaschiger und interessanter als die bisherigen Organisationen konzipiert sein, die ohnehin kein Potenzial mehr zur Steigerung geboten haben. Neben dem Waffenhandel könnte die Sekte mit den Finanzen, der Kultur und dem Privatleben ihrer Mitglieder vernetzt sein. Sie könnte wie eine Mafia auch im Geheimen agieren, größtenteils unsichtbar sein und neben Angriffen auch subtilere Methoden wie Bestechung und Erpressung anwenden, so dass es schwierig auszumachen wäre, bis wohin genau ihre Macht reicht und wie sie auszuschalten ist. Faszinierend wäre es hier, wenn Ubisoft uns als Spieler diese Strukturen Stück für Stück offenlegen würde, uns nicht nur Einblick in die Eingeweide unserer Feinde, sondern auch in ihr System und ihren neuen Alltag gewähren würde: Wie sie an Messen teilnehmen, wie sie miteinander umgehen und wie sie ihre Häuser nach ihrem Glauben einrichten.
Ich meine, am Ende kämpfen wir hoffentlich gegen einen grotesken Glauben und nicht nur gegen eine Bande von betrunkenen Bikern, die Kirchenlieder singen. Die Preisfrage wird genau an diesem Punkt lauten, ob Ubisoft in neue Gefilde vordringen will oder ob es seine bösen Buben mit ein paar Kreuzen und Bibeln nur religiös anmalt, sonst eigentlich alles beim Alten belässt und hofft, dass es niemandem auffällt. Wird sich hinter der angedeuteten Tiefe gar nichts oder tatsächlich eine interessante Sozialstudie befinden? Zu welchen Taten können verzweifelte Menschen von einem grotesken Glauben gebracht werden, der ihnen einen Himmel verspricht, den sie sich durch Leid erkaufen müssen?
Die Frage ist, ob wir als Spieler einen ständigen Wechsel zwischen Dorfalltag und Krieg erleben werden, einen Kampf zwischen Vernunft und Religion, oder ob die Kleinstadt nur in Form einer verwaisten Häusersiedlung dasteht, um als Deckung in Schussgefechten genutzt zu werden. Ich will die Armut und Mentalität spüren, sehen, und hören können. Ich will damit auch nachvollziehen können, warum überhaupt ein Bedarf für Joseph Seed‘s Sekte besteht. Womit wir gleich zur zweiten Instanz kommen werden, deren Beschaffenheit entscheidend für ein gutes oder schlechtes Spiel sein wird.
Und zuletzt mal ganz blöd gefragt: Wird Far Cry 5 ein atheistisches Spiel sein? Werden wir in übernatürlichen Sequenzen auf Gott treffen können? Oder auf Jesus mit zwei abgesägten Schrotflinten? Wo sich das Setting in seinem realen Raum in einer Sozialstudie erschöpfen kann, so kann es im übernatürlichen Raum viel weitergehen und uns in spektakulären Szenen mit den großen Fragen nach Sinn und Aufgabe der Menschheit in Interaktion treten lassen.
Im Gegensatz zu den anderen Teilen tritt in diesem Setting ein Subelement von Far Cry – das Mythische – in den Vordergrund und offenbart seine Verwandtschaft mit seinem geistigen Bruder Assassin‘s Creed. Und während aus dem Shooter nicht mehr viel herauszuholen ist und auch nichts aus Open Worlds, liegt noch viel unentdecktes Land in dieser Art von spielbaren Begegnungen mit dem Transzendenten, die sich auch gut dafür eignen, interne Entwicklungen der Hauptfigur zu veranschaulichen. Wie steht der Protagonist zu Gott? Wird in diesem Setting seine vielleicht problematische Beziehung zum Schöpfer verhandelt?