Gothic Retrospektive: Götterdämmerung

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Gothic Retrospektive: Götterdämmerung
Gothic Retrospektive: Götterdämmerung
Publisher:Developer:, Release-Datum:USK:metacritic:

Im dritten Teil meines Gothic Retrospektive Specials sprach ich davon, dass Die Nacht des Raben noch ein echtes Add-On war. Mit Götterdämmerung zeigen uns Jowood und Trine, wie man es nicht macht. Es bedarf schon einer seltsamen Definition von „Erweiterung“, wenn am Ende weniger Spielwelt, weniger Gameplay und weniger Story dabei herauskommen. Das Einzige, was Götterdämmerung gegenüber seinem Hauptspiel erweitert, sind die Bugs.

Nicht ein einziger neuer Perk oder Zauberspruch findet sich im Fertigkeitsbaum. Zudem sind manche alte Perks, die aus Gothic 3 übernommen wurden, vollkommen nutzlos geworden. So können wir zum Beispiel unsere hart verdienten Lernpunkte in die Fähigkeit Herausreden investieren, werden aber im Spielverlauf nie die Chance bekommen, diese auch anzuwenden.

Da hat sich wohl der Friseur bei Trine in der Farbtönung vergriffen. Obwohl an anderen Stellen massenhaft die Assets von Gothic 3 einfach nur wiederverwendet wurden, bekommt der Held ein neues Charaktermodell und sieht so trotz gleicher Engine komplett anders aus. Gothic 3 (l.) und Götterdämmerung (r.) im Vergleich.

Dabei ist die Frisur sein geringstes Problem. Die Identifikationsfigur des Spielers ist in den Dialogen kaum wiederzuerkennen.

Normalerweise erwartet man von einer Erweiterung auch eine erweiterte Spielwelt. Stattdessen wird die bereits vorhandene Welt des Hauptspiels um mehr als zwei Drittel reduziert. Nur Myrtana ist uns noch zugänglich. Varant und Nordmar bleiben dem Helden versperrt.

Als ob das Fehlen neuer Fertigkeiten nicht schon schlimm genug wäre, dürfen wir nicht mal unsere alten Fertigkeiten übernehmen, denn Götterdämmerung ist ein Standalone Add-On, das keine Option für den Import eines Spielstandes aus dem Hauptspiel zulässt. Keine neuen Fähigkeiten und trotzdem steht der namenlose Held zu Anfang wieder als große, fette Null mit Level 10 da. Wer sich kurz davor durch Gothic 3 gequält hat, um am Ende einen halbwegs anständigen Charakter auf Level 50+ zu haben, dem vergeht schon hier die Lust.

Der Charakterbildschirm liefert absolut nichts Neues. Nur der Blick auf die Weltkarte ist noch trauriger, denn die hat sich sogar verkleinert.

Auch im Bereich der Story ist Götterdämmerung wahrhaft kein Heldenepos. Diese basiert auf dem sogenannten „Gleichgewichtsende“ des Vorgängers. Die Götter haben die Welt verlassen und eigentlich sollte für tausend Jahre Frieden herrschen. Dennoch liegen verschiedene Fraktionen Myrtanas im Krieg. Der Held kehrt daher aus dem unbekannten Land zurück, um seiner Heimat endlich Frieden und Einheit zu bringen.

Grundsätzlich ist das kein schlechter Aufhänger für eine Handlung, jedoch fällt die Umsetzung mehr als mangelhaft aus. Die Dialoge und Quests rauben dem Spieler jegliche Lust am Spiel. So gut wie jeder Auftrag entpuppt sich entweder als „Hole X aus Y“, „Töte Z Monster“ oder „Eskortiere NPC von A nach B.“ Das Schlimmste dabei ist, dass sich der Held in den Dialogen auch noch am laufenden Band über diese sinnlosen Aufträge beschwert. An manchen Stellen klingt der Bezwinger der Barriere und Drachentöter wie ein Grundschüler, der von der Mutter gesagt bekommt, dass er den Müll rausbringen soll. Das macht die Figur, mit der man sich eigentlich identifizieren sollte, gänzlich unsympathisch. Wenn der Held schon diesen Mist nicht machen will, warum sollte es der Spieler dann? Antwort: Weil er es muss, denn ansonsten kommt man im Hauptquest nicht weiter.

Einer der ersten Quests im Spiel: Ohne viel Sinn und Verstand bolzen wir eine Kuhherde um, damit uns der verfeindete Bauer ein Empfehlungsschreiben gibt, welches wir wiederum für die Hauptquest benötigen.

Immerhin führte der Quest bei Release zu einer Art morbiden Belustigung in der Fangemeinde. Dass wir gerade im Spiel eines indischen Entwicklers Kühe abschlachten, ist schon ziemlich ironisch, besonders wenn die Viecher dank der zahlreichen Bugs nach dem Ableben auch noch in den Himmel aufsteigen.

Aufgrund der Trennung von Jowood und Piranha Bytes musste kurzfristig ein neuer Developer für das Add-On gefunden werden. Die Wahl fiel auf Trine Game Studios aus Indien. Mit viel zu knapp bemessener Entwicklungszeit musste sich das Studio in den fremden Code einarbeiten. Piranha Bytes hatte nach dem Zerwürfnis mit Jowood keinerlei Anteil an der Entwicklung und distanzierte sich bereits vor der Veröffentlichung vom Geschehen. Erschwerend kam hinzu, dass Trine zu diesem Zeitpunkt kaum Erfahrung in der Entwicklung vollwertiger Spiele vorweisen konnte.

Das Ergebnis war für manche schon von vornherein absehbar. Wieder machte Jowood Druck und brachte den Titel in unfertigem Zustand auf den Markt. Dabei hatte man seitens des Publishers nach dem Debakel um Gothic 3 Besserung gelobt. Dreimal so lange wie beim Vorgänger sollte die Testphase sein. Aber dreimal Null ergibt nach Adam Riese eben immer noch Null und so kam Götterdämmerung mit noch mehr Bugs auf den Markt.

Mitten im Dialog wechselte mitunter die auf Deutsch eingestellte Sprachausgabe auf Englisch oder blieb ganz stumm. Dabei wurden französische Untertitel oder komplettes Kauderwelsch eingeblendet. NPCs vergaben Quests, die im Norden des Standorts sein sollten und im Journal als südlich gelegen aufgeführt wurden.

Einer der bekanntesten Bugs im Spiel: Der ursprünglich als Verruckt Birdman betitelte NPC ist manchen Fans so sehr ans Herz gewachsen, dass sie diesen Fehler im Community Patch nicht einmal behoben wissen wollten. Die meisten Fans hatten zu diesem Zeitpunkt schon eine gehörige Portion schwarzen Humor entwickelt.

Offensichtlich hatte man bei Jowood absolut nichts aus der Vergangenheit gelernt und abermals musste das Community Patch-Team unter dem Label Mad Vulture Games in die Bresche springen, um Götterdämmerung auch nur ansatzweise spielbar zu machen. Mittlerweile läuft die Forsaken Gods Enhanced Edition einigermaßen vernünftig. Ein gutes Rollenspiel ist es trotzdem nicht.

Forsaken Gods war übrigens für lange Zeit der einzige Titel des Add-Ons. Der deutsche Titel Götterdämmerung wurde erst recht spät durch Abstimmung in der Community entschieden. Hier konnte man im Ansatz bereits die fehlgeleitete Strategie erahnen, die auch ArcaniA zum Scheitern verurteilen sollte – Jowoods zwanghafte Ausrichtung auf den internationalen Markt zu Ungunsten der deutschen Community.

Götterdämmerung versagt auf ganzer Linie: als Add-On, als Gothic-Titel, als Rollenspiel und sogar schlichtweg als ausführbares Programm. Selbst die Fangemeinde konnte aus dieser Kröte keinen Frosch mehr machen. Nur wer eine morbide Freude an schlechten Computerspielen hat, kann diesem Titel etwas abgewinnen. Für jeden anderen ist es eine Verschwendung an Zeit, Geld und Speicherplatz.

Götterdämmerung – das hat schon eine Art poetische Bedeutung angenommen. Es ist der Untergang, das Ende der Welt, die Piranha Bytes einst schuf, der absolute Tiefpunkt. Im letzten Teil meines Specials bleibt uns nur noch der Blick auf ArcaniA, welches das Prädikat Gothic nur noch im Untertitel trug. Zumindest konnten sich die enttäuschten Fans einer Sache sicher sein: Schlechter als Götterdämmerung konnte es gar nicht werden.

Gut

  • Verruckt Birdman

Schlecht

  • zu Release noch mehr Bugs als im Hauptspiel
  • absolut keine Neuerungen im Gameplay
  • nervige Fetchquests
  • kaum wiederzuerkennende Charaktere
3

Mies

Historiker mit einem Faible für Fantasywelten, RPGs, Anime und MLP.